Familie Sonnenschein und das systemische Problem

In dieser Podcast-Folge möchte ich mit einem Gedankenspiel vorführen, wie in sozialen Systemen überhaupt Probleme entstehen. Direkt vorneweg: Man könnte sie auch als “kreative Konstruktionsleistung” eines Systems bezeichnen.

Dies ist die Aufnahme aus einem Einführungswochenende in die Systemische Beratung im Februar 2022 an der Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid mit dem Kurstitel „Systemisch kompakt“. Dort haben wir gemeinsam eine “Familie Sonnnenschein” erfunden, die sich von einem Bilderbuch-Familienleben zu einer ausgewachsenen Krise entwickelt.

Der Podcast ist hier abrufbar und abonnierbar.

In der Systemischen Beratung wird man typischerweise mit Problemen konfrontiert. In der Regel bilden sie den Anlass, überhaupt professionelle Begleitung zu einer Veränderung – eben zur Lösung dieses Problems – aufzusuchen. Besonders interessant finde ich dabei, dass Probleme nicht vom Himmel fallen oder „das Fehlen von etwas“ sind, sondern aktiv durch die Interaktion im System entwickelt werden – natürlich ohne, dass jemand absichtlich ein Problem erzeugen möchte.

Für die Erarbeitung im Kurs habe ich einige Barbie-Puppen an eine Moderationstafel gepinnt, aus denen wir im Kurs gemeinsam die Familie Sonnenschein konstruiert haben. Die Familie wirkt vielleicht ein wenig karikiert – aber es geht hier ja um das Nachvollziehen einer Dynamik anhand einer plausiblen Fallgeschichte. Vermutlich wäre ein vorab ausgedachtes Beispiel noch klarer und pointierter ausgefallen. Allerdings war mir für den Kurs wichtig, dass sich alle in die Dynamik, die Interaktionsmuster und deren Auswirkungen hineindenken – auch um das Denken in zirkulären Bezügen zu üben.

Ein Problem ist ein Zustand,
der von einer oder mehrerer Personen als veränderungswürdig aufgefasst wird,
und der nicht direkt mit den zur Verfügung stehenden Mitteln bewältigt werden kann.

Systemisches Problemverständnis

Probleme in sozialen Systemen werden gewissermaßen “erfunden” bzw. “konstruiert”, wenn auch in der Regel nicht mit der Absicht, ein Problem zu erzeugen. Häufig entsteht das Problem genau dadurch, dass alle Beteiligten das, was aus ihrer jeweils sehr individuellen Sicht sinnvoll erscheint, zu realisieren versuchen – und dies bei ausbleibendem Erfolgt noch verstärkt versuchen. Damit verschärft sich mitunter auch der dysfunktionale Aspekt dieses Versuchs. Das wird auch als Handlungsmuster “mehr desselben” bezeichnet.

Das problemstabilisierende Verhalten ist häufig in „Mustern“ organisiert (Ereignisablauf, Interaktionsfolgen, Zeitverlauf, Bewertung/ Erleben etc.), können in der Reflexion wie einstudierte Szenen wirken.

Ein Problem war möglicherweise einmal eine sinnvolle Lösung.
Aber auch umgekehrt – mit Jan Bleckwedel:
„Ich kenne keine Lösung, die nicht auch ein neues Problem beinhalten könnte.“

Weitere systemische Systemcharakterisierungen:
von Schlippe & Schweitzer (1996): „Ein Problem ist etwas, das von jemandem einerseits als unerwünschter und veränderungsbedürftiger Zustand gesehen wird, andererseits auch als veränderbar.“
Ludewig (1992): „Ein Problem ist jedes Thema einer Kommunikation, die etwas als unerwünscht und veränderbar wertet.“

Oft hilfreich zur Lösungsfindung ist ein Reframing, d.i. das Umdeuten eines Sachverhalts bzw. seiner Interpretation, sodass der Handlungsspielraum erweitert wird. Dies kann das
—> Es geht immer auch anders!

Phasen der Problementstehung

(nach von Schlippe & Schweitzer 1996)

  1. Problemerfindung
    Eine Ist-Soll-Abweichung in den etablierten Routinen/ stabilisierenden Mustern
    wird wahrgenommen („Phänomenbildung“).
    Beobachtung wird als möglicherweise bedeutsam bewertet
  2. Problemerklärung
    Ist-Soll-Differenz wird weiter beobachtet, bekommt vermehrte Aufmerksamkeit.
    Erklärungen für das Phänomen werden entwickelt.
  3. Problembezogene Interaktion
    Ist-Soll-Differenz wird in der Kommunikation als Problem thematisiert.
    Übereinkunft überwiegt: „Es gibt ein Problem.“
    Die unterschiedlichen Auffassungen bzgl. Problemerklärung werden bedeutsam.
  4. Problemstabilisierendes Verhalten
    Problembezogene Handlungen bzw. Verhaltensweisen werden entwickelt,
    d.h. ausschließlich durch das Problem motiviertes Verhalten).
    Problem wird (gemeinsam) generalisiert, Ausnahmen ausgeschlossen.
    Lösungsversuche ebben ab, das Scheitern wird als Machtlosigkeit erlebt.
    Häufig Festhalten und Steigern inadäquaten Lösungsverhaltens („mehr desselben“).
  5. Problem mit dissoziierter Identität
    z.B. als „adoptiertes“ Systemmitglied, durch Institutionalisierung, durch Aktenlage.
    Das Problem wird dadurch als unlösbares, unbeeinflussbares „Es“. aufgefasst.
    Dieses „Es“ ist ein machtvoller und kräftiger Gegner.