Profilierung der Systemischen Therapie zwischen heilkundlich und prozessorientiert

Psychotherapie ist eine heilkundliche Tätigkeit. Diese genießt einen besonderen Schutz, dadurch, dass heilkundliche Tätigkeiten nur bestimmten Berufsgruppen vorbehalten sind: Psycholog*innen und Ärzt*innen sowie Heilpraktiker*innen, die dazu eine spezifische Prüfung ablegen mussten. Sie erhalten die Zulassung zur heilkundlichen Tätigkeit als „Approbation“.

Die heilkundliche Psychotherapie geht im klinischen Kontext von einer Diagnose aus, die die Symptomlage der Patient*innen in Begriff und Kennzahl zusammenfasst und daraus therapeutische Schritte ableiten lässt, die der Beseitigung der Symptome und damit der Diagnose-Grundlage dienen.

Systemische Therapie bietet einen Entwicklungsraum, in dem die Handlungsfähigkeit der Klient*innen wiederherstellt oder erweitert werden kann. Dies kann durchaus durch belastende Symptome veranlasst sein. Die nicht-heilkundliche Therapie zielt allerdings nicht primär darauf, die Symptomlage oder Diagnosegrundlage zum Verschwinden zu bringen – wenngleich dies auch ein Ergebnis systemischer Therapie sein kann.

Systemische Therapie ist seit 2019 als Psychotherapie-Verfahren anerkannt und in Approbationsausbildungen für bestimmte Berufsgruppen als heilkundliche Psychotherapie erlernbar. Durch den klinischen Kontext darf man davon ausgehen, dass hier die medizinische Diagnostik einen besonderen Stellenwert einnimmt. So erfreulich es ist, dass das Spektrum der Psychotherapieverfahren hier erweitert worden ist, so kann man allerdings befürchten, dass einzelne wirksame Aspekte systemischer Therapie verloren gehen könnten.

In „traditioneller“ systemischer Therapie sind Diagnosen stets kritisch zur Kenntnis genommen worden: Sie werden weniger als Aussage über eine*n Patient*in als vielmehr eine Information über den Kontext, in dem die Diagnose relevant erscheint, aufgefasst. Systemische Veränderungsarbeit ist konsequenterweise mit Mehrpersonen, also Familien, Paaren, Teams etc. organisiert worden, hierin sind die durch eine Diagnose hervorgehobenen Personen allenfalls „Indexpersonen“, die durch ein Störungsbild auf die an dieser Stelle dysfunktionale Systemdynamik und einen entsprechenden Veränderungsbedarf hinweisen. Diagnosen werden hier daher nicht zum zentralen Zielaspekt der Therapieplanung gemacht, sondern mit einem geweiteten Blick Raum für Veränderung in Interaktion und Dynamik des jeweiligen Systemkontextes gestaltet.

In diesem Verständnis gelingt auch systemische Arbeit mit Einzelpersonen-Settings, aber nur als eine Form, das Setting zu gestalten. Falls im klinischen Kontext systemische Therapie sich auf die Arbeit mit Einzelpersonen und die Zielorientierung entlang medizinischer Diagnostik verengt, gelingt womöglich die system-verändernde Arbeit nicht mehr ausreichend.

Hier könnte sich nicht-heilkundliche Systemische Therapie mit den traditionellen Merkmalen wie ressourcen-bezogene Relativierung einer medizinischen Diagnostik sowie der bevorzugten Arbeit mit Mehrpersonen-Settings erneut profilieren. Darüber hinaus könnte das oben genannte Verständnis eines Entwicklungsraums ein profilierendes Merkmal sein. Hier können in unserem Kontext sicherlich kreative Zugänge, wie etwa die Künstlerisch-Systemische Therapie, eine besondere Facette darstellen. Wir würden in diesem Sinne heilkundliche Systemische Therapie und nicht-heilkundliche, prozessorientierte Systemischen Therapie gegenüber stellen.